(Stuttgart) Das Landesarbeitsgericht Baden-Württemberg (LAG) hat der Angestellten eines im Großraum Stuttgart ansässigen Unternehmens die von ihr unter Berufung auf das Entgelttransparenzgesetz (EntgTranspG) sowie den Gleichbehandlungsgrundsatz eingeklagte höhere Vergütung für die Jahre 2018 bis 2022 teilweise zugesprochen.

Darauf verweist der Stuttgarter Fachanwalt für Arbeitsrecht Michael Henn, Präsident des VDAA – Verband deutscher ArbeitsrechtsAnwälte e. V. mit Sitz in Stuttgart, unter Hinweis auf die Mitteilung des LAG zu seinem Urteil vom 1. Oktober 2024 (Az.2 Sa 14/24).

In Teilen erfolgreich war die Klägerin, die im streitigen Zeitraum in hälftiger Teilzeit auf der dritten Führungsebene des Unternehmens tätig war, im Hinblick auf die Gehaltsbestandteile Grundgehalt, Company Bonus, Pension One-Kapitalbaustein sowie virtuelle Aktien nebst Dividendenäquivalente. Insgesamt wurden der Klägerin von den eingeklagten rund 420.000 EUR brutto ca. 130.000 EUR brutto für fünf Jahre zugesprochen. Das Arbeitsgericht hatte der Klage in erster Instanz noch in weiterem Umfang stattgegeben.

Nach § 3 Abs. 1 EntgTranspG ist bei gleicher oder gleichwertiger Arbeit eine unmittelbare oder mittelbare Benachteiligung wegen des Geschlechts im Hinblick auf sämtliche Entgeltbestandteile und Entgeltbedingungen verboten. Zudem ist dieses Verbot in § 7 EntgTranspG niedergelegt, wonach für gleiche oder für gleichwertige Arbeit nicht wegen des Geschlechts der oder des Beschäftigten ein geringeres Entgelt vereinbart oder gezahlt werden darf als bei einer oder einem Beschäftigten des anderen Geschlechts. Hintergrund des EntgTranspG sind Bestimmungen aus dem Recht der Europäischen Union. Art. 157 Abs. 1 AEUV verlangt, dass Frauen und Männer bei gleicher oder gleichwertiger Arbeit das gleiche Entgelt erhalten. Die entsprechenden Bestimmungen der Richtlinie 2006/54/EG zum Verbot der Diskriminierung beim Entgelt, darunter insbesondere deren Art. 2 Abs. 1 Buchst. e und Art. 4, werden von der unmittelbaren Anwendbarkeit von Art. 157 AEUV miterfasst. Deshalb sind § 3 Abs. 1 und § 7 EntgTranspG entsprechend den Vorgaben der Richtlinie 2006/54/EG und im Einklang mit Art. 157 AEUV unter Berücksichtigung der Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union unionsrechtskonform auszulegen. Zudem gebietet der arbeitsrechtliche Gleichbehandlungsgrundsatz dem Arbeitgeber, Arbeitnehmer oder Gruppen von Arbeitnehmern, die sich in gleicher oder vergleichbarer Lage befinden, gleich zu behandeln.

Im hiesigen Fall lag das individuelle Entgelt der Klägerin sowohl unterhalb des Medianentgelts der weiblichen Vergleichsgruppe als auch unterhalb des Medianentgelts der männlichen Vergleichsgruppe der dritten Führungsebene. Die Klägerin begehrte mit ihrer Klage primär die Differenz ihrer individuellen Vergütung zum Entgelt eines von ihr namentlich benannten männlichen Vergleichskollegen bzw. des weltweit bestbezahlten Kollegen der dritten Führungsebene, hilfsweise die Differenz ihrer individuellen Vergütung zum Medianentgelt der männlichen Vergleichsgruppe.

Die 2. Kammer des Landesarbeitsgerichts sah nach tatrichterlicher Gesamtwürdigung aller Umstände vorliegend indes lediglich ein hinreichendes Indiz für eine geschlechtsbezogene Benachteiligung in Höhe der Differenz des männlichen zum weiblichen Medianentgelt. Art. 157 AEUV bzw. § 3 Abs. 1, § 7 EntgTranspG lassen danach nicht irgendein Indiz iSv. § 22 AGG für eine geschlechtsbedingte Vergütungsdiskriminierung ausreichen, um einen Anspruch auf den maximal denkbaren Differenzbetrag zu begründen. Vielmehr muss ein Indiz gerade für eine geschlechtsbedingte Benachteiligung in einer ganz bestimmten Höhe bestehen. Da im vorliegenden Fall feststand, dass die Vergütung des zum Vergleich herangezogenen Kollegen oberhalb des Medianentgelts der männlichen Vergleichsgruppe (anders als in BAG 16. Februar 2023 – 8 AZR 450/21) und die Vergütung der Klägerin zudem unterhalb des von der Beklagten konkret bezifferten Medianentgelts der weiblichen Vergleichsgruppe (anders als in BAG 21. Januar 2021 – 8 AZR 488/19) lag, bestand keine hinreichende Kausalitätsvermutung dahingehend, dass die volle Differenz des individuellen Gehalts der Klägerin zum Gehalt des namentlich benannten männlichen Kollegen bzw. dem Median der männlichen Vergleichsgruppe auf einer geschlechtsbedingten Benachteiligung beruhte.

Einen Anspruch auf Anpassung “nach ganz oben” konnte die Klägerin nach Ansicht der 2. Kammer auch nicht auf den arbeitsrechtlichen Gleichbehandlungsgrundsatz stützen (entgegen LAG Düsseldorf 20. April 2023 – 13 Sa 535/22). Der Gleichbehandlungsgrundsatz ist nach Ansicht der 2. Kammer bei Differenzierungen innerhalb der begünstigten Gruppe auf den Durchschnittswert gerichtet (im Anschluss an BAG 23. Februar 2011 – 5 AZR 84/10).

Vorliegend gelang es der Beklagten schließlich nicht, eine Rechtfertigung der danach verbleibenden Ungleichbehandlung etwa anhand der Kriterien „Berufserfahrung“, „Betriebszugehörigkeit“ oder „Arbeitsqualität“ konkret darzulegen.

Gegen das Urteil vom 1. Oktober 2024 hat die 2. Kammer des Landesarbeitsgerichts die Revision zum Bundesarbeitsgericht wegen grundsätzlicher Bedeutung der Sache für beide Parteien zugelassen.

Henn empfahl, die Entscheidung zu beachten und in Zweifelsfällen rechtlichen Rat einzuholen, wobei er u. a. dazu auch auf den VDAA-Verband deutscher ArbeitsrechtsAnwälte e. V. – www.vdaa.de – verwies.

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