(Kiel) Der Bundesgerichtshof (BGH) hat soeben entschieden, unter welchen Voraussetzungen der italienische Hersteller des Basisfahrzeugs eines Wohnmobils nach § 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-FGV haftet.
Darauf verweist der Moerser Fachanwalt für Straf- und Verkehrsrecht Bertil Jakobson, Leiter des Fachausschusses „Unfallregulierung“ des VdVKA – Verband deutscher VerkehrsrechtsAnwälte e. V. mit Sitz in Kiel unter Hinweis auf die Mitteilung des BGH zu seinem Urteil vom 27. November 2023 – VIa ZR 1425/22.
Sachverhalt und bisheriger Prozessverlauf:
Der Kläger nimmt die Beklagte, eine Kapitalgesellschaft italienischen Rechts mit Sitz in Italien, wegen der Verwendung unzulässiger Abschalteinrichtungen in einem Wohnmobil auf Schadensersatz in Anspruch.
Der Kläger kaufte im April 2018 in der Bundesrepublik Deutschland von einem Dritten ein neu hergestelltes Wohnmobil Fiat Ducato Sunlight A 68 für 52.300 €. Für die Finanzierung wandte er weitere 5.483,03 € auf. Herstellerin des Basisfahrzeugs des Wohnmobils ist die Beklagte. Der in das Wohnmobil eingebaute Dieselmotor der Baureihe 2,3-l-MultiJet II (96 kW) stammt von einem weiteren, nicht am Rechtsstreit beteiligten Hersteller. Die EG-Typgenehmigung für das Basisfahrzeug wurde der Beklagten in Italien nach Maßgabe der Abgasnorm Euro 6 erteilt. Die Emissionen des Motors werden unter Verwendung eines Thermofensters kontrolliert. Das Kraftfahrt-Bundesamt hatte vor Erwerb des Wohnmobils im Jahr 2016 ein Verfahren nach Art. 30 Abs. 3 Satz 1 der inzwischen außer Kraft getretenen Richtlinie 2007/46/EG eingeleitet. Die italienische Genehmigungsbehörde hatte im Jahr 2016 keinen Anlass für ein behördliches Einschreiten gesehen.
Die in der Hauptsache auf Erstattung des Kaufpreises abzüglich des Wertes gezogener Nutzungen Zug um Zug gegen Übergabe und Übereignung des Wohnmobils und auf Erstattung der Finanzierungskosten gerichtete Klage hat vor dem Landgericht keinen Erfolg gehabt. Die Berufung des Klägers hat das Berufungsgericht zurückgewiesen, weil der Kläger weder wegen seiner sittenwidrigen vorsätzlichen Schädigung noch nach Art. 4 Abs. 1 der Verordnung (EG) Nr. 864/2007 (Rom II), § 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-FGV Schadensersatz von der Beklagten verlangen könne. Mit der vom Bundesgerichtshof zugelassenen Revision verfolgt der Kläger seine Berufungsanträge weiter.
Entscheidung des Bundesgerichtshofs:
Der Bundesgerichtshof hat auf die Revision des Klägers den Zurückweisungsbeschluss aufgehoben und die Sache zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das Berufungsgericht zurückverwiesen, damit es im Anschluss an das Grundsatzurteil des Bundesgerichtshofs vom 26. Juni 2023 (VIa ZR 335/21, NJW 2023, 2259, vgl. Pressemitteilung Nr. 100/2023) die Voraussetzungen eines Differenzschadens näher aufklärt.
Das Berufungsgericht hat zunächst richtig nach Art. 4 Abs. 1 der Verordnung (EG) Nr. 864/2007 (Rom II) deutsches Sachrecht zur Anwendung gebracht. Der Handlungsort als der Ort, an dem das vervollständigte Fahrzeug mit dem Ziel seiner Zulassung erstmals in Verkehr gebracht worden ist, und der Erfolgsort liegen in der Bundesrepublik Deutschland. Die Anwendung deutschen Sachrechts umfasst über die Regelungen des Rechts der unerlaubten Handlung im Bürgerlichen Gesetzbuch hinaus auch die Vorschriften der § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-FGV als möglicherweise verletzte Schutzgesetze und die dann für den Verschuldensmaßstab bedeutsame Bestimmung des § 37 Abs. 1 EG-FGV.
Dass die § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-FGV bei einem unionsrechtlich fundierten Verständnis Schutzgesetze sind, hat der Bundesgerichtshof bereits in seinem Urteil vom 26. Juni 2023 geklärt. Das deutsche Sachrecht bzw. das Deliktsstatut ist dem Prinzip der einheitlichen Anknüpfung folgend maßgebend für den Grund der Haftung. Dazu gehören auch die Schutzgesetze, deren Verletzung die Haftung begründet.
Auf der Grundlage der vom Berufungsgericht getroffenen Feststellungen kommt ein Anspruch auf Ersatz des Differenzschadens in Betracht. Das Berufungsgericht hat unterstellt, dass es sich bei einem in dem Basisfahrzeug verbauten Thermofenster um eine unzulässige Abschalteinrichtung im Sinne des Unionsrechts handelt. Zugunsten des Klägers war damit auch im Revisionsverfahren zu unterstellen, dass sich die Übereinstimmungsbescheinigung nicht im Einklang mit dem Unionsrecht befunden hat. Dass eine Tatbestands- oder Legalisierungswirkung der EG-Typgenehmigung einem Anspruch aus § 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-FGV nicht entgegengehalten werden kann, hat der Bundesgerichtshof bereits am 26. Juni 2023 ausführlich begründet. Gleichfalls ohne Relevanz war die Reaktion der italienischen Typgenehmigungsbehörde auf das Ersuchen des Kraftfahrt-Bundesamts nach Art. 30 Abs. 3 Satz 1 der Richtlinie 2007/46/EG. Nach der Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union entscheidet über die Gewährung eines Schadensersatzes allein, ob in das (Basis-)Fahrzeug entgegen Art. 5 Abs. 2 Satz 1 der Verordnung (EG) Nr. 715/2007 eine unzulässige Abschalteinrichtung im Sinne des Art. 3 Nr. 10 der Verordnung (EG) Nr. 715/2007 eingebaut ist.
Der Eintritt eines Schadens kann auch nicht deshalb verneint werden, weil es bisher noch nicht zu Einschränkungen der Nutzbarkeit gekommen ist und weil die Typgenehmigungsbehörde Fahrzeuge des genehmigten Typs zwar auf eine Übereinstimmung mit Art. 5 Abs. 2 der Verordnung (EG) Nr. 715/2007 geprüft, aber bisher von einschränkenden Maßnahmen abgesehen hat. Denn mit Rücksicht auf den geldwerten Vorteil der jederzeitigen Verfügbarkeit eines Kraftfahrzeugs genügt schon die rechtliche Möglichkeit einer Nutzungsbeschränkung, die mit der Verwendung einer – hier unterstellt vorhandenen – unzulässigen Abschalteinrichtung gegeben ist.
Weiter ist ein Differenzschaden nicht deshalb auszuschließen, weil der Kläger nicht einen Pkw, sondern ein Wohnmobil erworben hat. Für den Differenzschaden kommt es nicht darauf an, welchen Zwecken die beabsichtigte Nutzung eines Kraftfahrzeugs als Fortbewegungsmittel im Straßenverkehr dienen soll. Eine Unterscheidung nach der Art der beabsichtigten Nutzung im Straßenverkehr hätte die Ausklammerung einer ganzen Gruppe von Fahrzeugtypen aufgrund abstrakter, mit ihrer Bauart zusammenhängender Erwägungen ohne Bezug insbesondere zu Art. 5 Abs. 2 der Verordnung (EG) Nr. 715/2007 zur Folge. Das schränkte die von den Mitgliedstaaten zu gewährleistende Effektivität der Durchsetzung der Ziele des Unionsrechts unvertretbar ein. Dementsprechend hat auch der Gerichtshof der Europäischen Union in seiner Entscheidung vom 21. März 2023 zwar hinsichtlich des Schadensersatzes auf das nationale Recht der Mitgliedstaaten verwiesen. Er hat aber weder hinsichtlich der Pflichtverletzung durch die Ausstellung einer unzutreffenden Übereinstimmungsbescheinigung noch im Zusammenhang mit in Betracht kommenden Schadenspositionen Ausnahmen für ganze Fahrzeuggruppen je nach dem Zweck der beabsichtigten Nutzung erwogen.
Auf der Grundlage der vom Berufungsgericht getroffenen Feststellungen war schließlich ein schuldhaftes Verhalten der Beklagten nicht zu verneinen. Insbesondere konnte sich die Beklagte nicht damit entlasten, sie sei nicht zugleich Herstellerin des in dem Basisfahrzeug verbauten Motors. Einem Fahrzeughersteller, der für die Konstruktion des von ihm hergestellten Fahrzeugs Motoren fremder Hersteller verwendet, obliegen nach dem anwendbaren deutschen Sachrecht auch insoweit die Sorgfaltspflichten eines Herstellers.
Da die Sache auch nicht umgekehrt zugunsten des Klägers zur Endentscheidung reif war, war sie zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das Berufungsgericht zurückzuverweisen, das nach Maßgabe der neueren höchstrichterlichen Rechtsprechung Feststellungen zum Bestehen eines Differenzschadens nachzuholen haben wird.
Jakobson riet, dies zu beachten und in allen Zweifelsfällen unbedingt rechtlichen Rat in Anspruch zu nehmen, wobei er dabei u. a. auch auf den VdVKA – Verband deutscher Verkehrsrechtsanwälte e. V. – www.vdvka.de – verwies.
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