(Stuttgart) Das Bundesarbeitsgericht (BAG) hat sich in seinem Urteil vom 22. Mai 2014 – Az.: 8 AZR 662/13 – sozusagen „im zweiten Anlauf“ der Rechtsauffassung des Bundesgerichtshofs (BGH) angeschlossen, wonach die Rückwirkungsregelung des § 167 ZPO grundsätzlich auch in den Fällen anwendbar ist, in denen durch die Zustellung eine Frist gewahrt werden soll, die durch eine außergerichtliche Geltendmachung gewahrt werden kann.

 

Während der BGH dies bereits in seinem Urteil vom 17. Juli 2008 – Az.: I ZR 109/05 – ausgeführt und sich von seiner anders lautenden früheren Rechtsprechung distanziert hatte, hielt das BAG „im ersten Anlauf“ (Urteil vom 21. Juni 2012 – Az.: 8 AZR 188/11) noch an der gegenteiligen Auffassung fest. Das. so der Hannoveraner Fachanwalt für Arbeitsrecht Armin Rudolf vom VDAA – Verband deutscher ArbeitsrechtsAnwälte e. V. mit Sitz in Stuttgart, wurde jetzt mit dem Urteil vom 22. Mai 2014 – Az.: 8 AZR 662/13 – korrigiert.

 

Der Entscheidung lag folgender Sachverhalt zugrunde:

 

Nach einer dreijährigen Ausbildung zur Fachangestellten für Bäderbetriebe bewarb sich eine Arbeitnehmerin um eine entsprechende Stelle bei einem Betreiber von Hallen- und Freibädern. Das Unternehmen stellte der Bewerberin einen befristeten Arbeitsvertrag als Elternzeitvertretung in Aussicht. Anlässlich einer Besichtigung des zukünftigen Arbeitsplatzes teilte die Bewerberin ihrem zukünftigen Arbeitgeber mit, dass sie wegen einer Erkrankung an Multipler Sklerose einen Grad der Behinderung von 50 aufweist. Das Unternehmen zog daraufhin das Vertragsangebot zurück. Wegen der Behinderung sei die Arbeitnehmerin nicht in der Lage, die Tätigkeit auszuüben. Die Bewerberin erhob daraufhin ohne eine gesonderte außergerichtliche Geltendmachung eine Klage auf Schadensersatz und Entschädigung nach § 15 Abs. 1 und 2 AGG. Die Klage ist dem beklagten Unternehmen erst einen Tag nach dem Ablauf der Zweimonatsfrist des § 15 Abs. 4 S. 1 AGG zugestellt worden.

 

Das Arbeitsgericht Kiel – Az.: 5 Ca 316 c/12 – hat der Klage mit seinem Urteil vom 08. Januar 2013 stattgegeben und der Klägerin einen Schadensersatz in Höhe von 90,40 € für die Fahrtkosten zum Vorstellungsgespräch sowie eine Entschädigung in Höhe von 4.500,00 € zugesprochen. Das Landesarbeitsgericht (LAG) Schleswig-Holstein hat die Klage in II. Instanz wegen Nichteinhaltung der Frist des § 15 Abs. 4 S. 1 AGG abgewiesen. Es hat die Revision zum BAG zugelassen. Die Klägerin ist sodann in Revision gegangen. Das BAG hat sich der geänderten Rechtsprechung des BGH (Urteil vom 17. Juli 2008 – Az.: I ZR 109/05) angeschlossen und sich von seiner früher geäußerten gegenteiligen Auffassung (BAG, Urteil vom 21. Juni 2012 – Az.: 8 AZR 188/11) distanziert. Nunmehr vertritt das BAG die Auffassung, dass § 167 ZPO grundsätzlich auch anwendbar ist, wenn durch die Zustellung eine Frist gewahrt werden soll, die auch durch außergerichtliche Geltendmachung gewahrt werden könnte. Die nach § 15 Abs. 4 S. 1 AGG erforderliche Schriftform zur Geltendmachung von Schadensersatz- und Entschädigungsansprüchen im Sinne von § 15 Abs. 1 und 2 AGG kann somit nach Auffassung des BAG auch durch eine Klage gewahrt werden. Dabei findet § 167 ZPO Anwendung. Das bedeutet, dass der rechtzeitige Eingang der Klage bei Gericht genügt, wenn die Klage „demnächst“ zugestellt wird.

 

• Tipp für Arbeitnehmer

Arbeitnehmer sollten trotz der Rechtsprechungsänderung des BAG die „Spielregeln“ im AGG befolgen. Gem. § 15 Abs. 1 S. 1 AGG ist ein Arbeitgeber bei einem Verstoß gegen das im AGG normierte Benachteiligungsverbot verpflichtet, den hierdurch entstandenen Schaden zu ersetzen. Wegen eines Schadens, der nicht Vermögensschaden ist, kann der oder die Beschäftigte eine angemessene Entschädigung in Geld verlangen, vgl. § 15 Abs. 2 S. 1 AGG. Die Entschädigung darf bei einer Nichteinstellung drei Monatsgehälter nicht übersteigen, wenn der oder die Beschäftigte auch bei benachteiligungsfreier Auswahl nicht eingestellt worden wäre, vgl. § 15 Abs. 2 S. 2 AGG. Ein Anspruch nach § 15 Abs. 1 oder 2 AGG muss innerhalb einer Frist von zwei Monaten schriftlich geltend gemacht werden, es sei denn, die Tarifvertragsparteien haben etwas anderes vereinbart. Die Frist beginnt im Falle einer Bewerbung oder eines beruflichen Aufstiegs mit dem Zugang der Ablehnung und in den sonstigen Fällen einer Benachteiligung zu dem Zeitpunkt, in dem der oder die Beschäftigte von der Benachteiligung Kenntnis erlangt, vgl. § 15 Abs. 4 AGG.

 

• Konsequenz für Arbeitgeber

 

Durch die geänderte Rechtsprechung des BAG erlangen Arbeitgeber, die gegen das im AGG normierte Benachteiligungsverbot verstoßen haben, später als bisher von der Rechtsprechung angenommen Rechtssicherheit, ob sie Schadensersatz- bzw. Entschädigungsansprüchen im Sinne von § 15 AGG ausgesetzt werden. Dies gilt es, zu beachten. Arbeitgeber dürfen Beschäftigte (insbesondere Arbeitnehmer, Auszubildende und Bewerber um eine ausgeschriebene Stelle) nicht aus Gründen der Rasse oder wegen der ethnischen Herkunft, des Geschlechts, der Religion oder Weltanschauung, einer Behinderung, des Alters oder der sexuellen Identität benachteiligen.

Rudolf empfahl, dies zu beachten und empfahl sowohl Arbeitgebern als auch Arbeitnehmern in Zweifelsfällen rechtlichen Rat einzuholen, wobei er u. a. dazu auch auf den VDAA Verband deutscher ArbeitsrechtsAnwälte e. V. – www.vdaa.de – verwies.

 

Für Rückfragen steht Ihnen zur Verfügung:

 

Armin Rudolf
Rechtsanwalt und Notar, Fachanwalt für Arbeitsrecht
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