(Kiel) Mit viel Spannung ist die Entscheidung des EuGH in der Rechtssache C-377/17Europäische Kommission gegen Bundesrepublik Deutschland „Vertragsverletzung – Dienstleistungen im Binnenmarkt – Richtlinie 2006/123 – Art. 15 – Preise der Architekten und Ingenieure – Verbindliche Preise“ 2019 erwartet worden.
Die Entscheidung vom 04.07.2019 (EuGH, NZBau 2019, 511 ff.), wonach die Mindest- und Höchstsätze der HOAI im Hinblick auf die Dienstleistungsrichtlinie (Richtlinie 2006/123/EG – Dienstleistungsrichtlinie), nicht europarechtskonform sind, so die Frankfurter Rechtsanwältin und Fachanwältin für Bau- und Architektenrecht Helene – Monika Filiz, Präsidentin des VBMI – VERBAND DEUTSCHER ANWÄLTE für Bau-, Miet- und Immobilienrecht e. V. mit Sitz in Kiel, ist von nicht zu unterschätzender Bedeutung, da eine Fehlkalkulation dahingehend, ist nicht wirklich überraschend und war von vielen Kennern der Materie erwartet worden.
Man muss allerdings die Begründung der Entscheidung im Einzelnen zur Kenntnis nehmen, um die rechtlichen Konsequenzen, die sich für den juristischen Alltag ergeben, richtig beurteilen zu können. Denn der EuGH folgt zwar im Ergebnis maßgeblich den Schlussanträgen des Generalanwaltes Maciej Szpunar vom 28.02.2019. Dieses Ergebnis wird allerdings abweichend begründet. Auch geht der EuGH von einem weiteren Entscheidungsspielraum im Hinblick auf die Neugestaltung der Honorarordnung aus, als es nach Ansicht des Generalstaatsanwaltes Maciej Szpunar der Fall gewesen war.
Entscheidungserheblich war für den EuGH der Umstand, dass die Regierung der Bundesrepublik Deutschland im Rahmen des Verfahrens nicht in ausreichendem Maße darzulegen und zu begründen vermochte, dass die in Deutschland tätigen Erbringer von Planungsleistungen einem „ungesunden Unterbietungswettbewerb“ unterliegen könnten. Entscheidungserheblich war der Umstand, dass in Deutschland auch Planungsleistungen von Dienstleistern erbracht werden können, die nicht über eine spezielle fachlichen Eignungsnachweis verfügen müssten. Insoweit sei der Ansicht des EuGH’s folgend, das Ziel der Wahrung von Mindestgarantien durch Mindestsätze der HOAI nicht in geeigneter Weise durchgesetzt werden. Auch hinsichtlich der Höchstsätze, die einer erhöhten Transparenz von Dienstleistungen bewirken solle, habe die Regierung der Bundesrepublik Deutschland nicht in geeigneter Art und Weise dargelegt, aus welchen Gründen nicht das mildere Mittel zur Zweckerreichung, nämlich die Veröffentlichung von Honorarempfehlungen, dieselbe Zielbestimmung erreichen könne.
– Welche Konsequenzen ergeben sich aufgrund dieses EuGH-Urteils in der Praxis?
Es handelt sich um ein Feststellungsurteil (Art. 206 I AEUV). Der Tenor der Entscheidung enthält die Feststellung, dass ein Mitgliedsstaat, nämlich vorliegend die Bundesrepublik Deutschland, gegen das EU-Recht verstoßen hat. Die Bundesrepublik Deutschland ist verpflichtet, die erforderlichen und gebotenen Maßnahmen einzuleiten, um Abhilfe hinsichtlich des Vertragsverstoßes zu schaffen, wobei hierbei ein gewisses Ermessen im Rahmen der Zweckerreichung eröffnet ist. Das bedeutet mithin im Ergebnis, dass die HOAI nach wie vor wirksam ist, weil dem EuGH keine Verwerfungskompetenz im Hinblick auf Rechtsnormen des Mitgliedstaates zusteht.
– Was muss die Bundesrepublik Deutschland unternehmen?
Die Bundesrepublik Deutschland wird Abhilfe schaffen müssen, in dem es der Verpflichtung unterliegt, das Urteil auf nationaler Ebene umzusetzen.
Auch die Gerichte des Mitgliedstaates werden die erforderlichen Maßnahmen zu ergreifen haben, um den festgestellten Verstoß zu beseitigen. Mit EU-Recht unvereinbare Gesetze müssen daher geändert oder in Gänze aufgehoben werden.
– Welche Konsequenzen ergibt sich für laufende Verfahren?
In der anwaltlichen und forensischen Praxis sind insbesondere zwei Fallkonstellationen stetig wiederkehrend:
• der Architekt/Ingenieur klagt das Mindesthonorar nach HOAI ein
oder
• der Auftraggeber beruft sich auf den Höchstsatz als Untergrenze für seine Zahlungsverpflichtung
Da der EuGH nicht die HOAI im Ganzen als Verstoß gegen die EU-Recht bewertet, sondern nur hinsichtlich des von der HOAI vorgegebenen Preisrahmens, wird mithin lediglich die Honorarvereinbarung zwischen den Vertragsparteien insoweit eingeschränkt. Sämtliche andere Regelungen bleiben unberührt.
Ob sich aus dem festgestellten Verstoß gegen EU-Recht eine unmittelbare Rechtswirkung für die Parteien eines Zivilprozesses ergibt, ist umstritten.
• Das OLG Naumburg, NZBau 2017, 667 = NJW-RR 2017, 1231 hat festgestellt, dass ein Zivilrechtsstreit wegen des Vertragsverletzungsverfahrens vor dem EuGH nicht auszusetzen sei, weil sich für den Einzelnen keine unmittelbaren Wirkungen hieraus ergeben würden. Dies mit der Begründung, dass ein klagestattgebendes Urteil ohnehin lediglich deklaratorischen Charakter habe und sich auf die Feststellung der konkreten Verletzung unionsrechtlicher Normen beschränke.
• Das LG Dresden, Beschl. V. 8.2.2018 – 6 O 1751/15, vertrat hierzu eine anderweitige Auffassung. Es hat eine Aufstockungsklage ausgesetzt sowie dem EuGH die Frage vorgelegt, ob die maßgeblichen Regelungen der Dienstleistungsrichtlinie der Anwendbarkeit des zwingenden Preisrechts der HOAI entgegensteht.
Zu berücksichtigen ist im Rahmen der Abwägung, dass Art. 15 der Dienstleistungsrichtlinie zwar unmittelbare Wirkungen entfaltet. Diese Feststellung hat der EuGH bereits getätigt (EuGH NVWZ 2018, 307). Diese unmittelbare Wirkung von Richtlinienbestimmungen gilt allerdings nur gegenüber dem jeweiligen Mitgliedstaat und nicht im Verhältnis zwischen Privaten. Man wird insoweit im Einzelfall abzuwägen haben, mit welcher Gewichtung und Nachdruck die entsprechende Argumentation im Gerichtsverfahren verfolgt wird. Die weitere Rechtsprechung zu beobachten sein.
Filiz empfahl, dies zu beachten und bei Fragen auf jeden Fall Rechtsrat einzuholen, wobei sie in diesem Zusammenhang u. a. auch auf den VBMI – VERBAND DEUTSCHER ANWÄLTE für Bau-, Miet- und Immobilienrecht e. V. – www.VBMI-Anwaltsverband.de – verwies.
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Helene – Monika Filiz
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