(Worms) Der 11. Zivilsenat des Oberlandesgerichts Hamm hat geklärt, in welchem Umfang ehemals in der Sicherungsverwahrung Untergebrachte nach konventionswidriger, weil überlang vollzogener Sicherungsverwahrung vom Land Nordrhein-Westfalen zu entschädigen sind.

Darauf verweist so der Wormser Fachanwalt für Strafrecht Jürgen Möthrath, Präsident des Deutschen Strafverteidiger Verbandes (DSV) e. V. mit Sitz in Worms, unter Hinweis auf eine entsprechende Mitteilung des Oberlandesgerichts (OLG) Hamm vom 9.01.2015 zu seinen Urteilen vom 14. November 2014 (11 U 80/13 und 11 U 16/14).

Nach der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte (EGMR) ist die nachträglich über die Dauer von 10 Jahren hinaus verlängerte Sicherungsverwahrung oder die nachträglich erstmalig angeordnete Sicherungsverwahrung in den Fällen keine rechtmäßige Freiheitsentziehung, in denen es bei der Begehung der Straftaten noch keine gesetzliche Grundlage für die nachträgliche Verlängerung oder nachträgliche erstmalige Anordnung der Sicherungsverwahrung gab. In diesen Fällen verstößt die Freiheitsentziehung gegen das in Art. 5 Abs. 1 der Europäischen Menschenrechtskonvention (EMRK) normierte Freiheitsgrundrecht und verpflichtet den Staat zur Entschädigung.

Der 11. Zivilsenat des Oberlandesgerichts Hamm hat in 8 Fällen über die Entschädigung von Klägern zu entscheiden, bei denen die Sicherungsverwahrung in Haftanstalten Westfalens konventionswidrig vollzogen wurde und die deswegen eine Entschädigung vom Land Nordrhein-Westfalen verlangen. Die im Einzelfall zwischen ca. 23.000 Euro und ca. 111.000 Euro beanspruchten Entschädigungssummen addieren sich in den 8 Fällen auf 460.000 Euro. Nach erstinstanzlichen Entscheidungen des Landgerichts Dortmund sind in den 8 Fällen Entschädigungen von ca. 270.000 Euro zugesprochen worden. In den zum Teil von den Klägern und auch vom beklagten Land angestrengten Berufungsverfahren wird u.a. über die Höhe der Entschädigung und über die Anrechnung anderweitiger Entschädigungsleistungen gestritten.

Mit Urteilen vom 14.11.2014 hat der 11. Zivilsenat des Oberlandesgerichts Hamm zwei Klägern Entschädigungen von 16.665 Euro (Az. 11 U 80/13) und 30.500 Euro (Az. 11 U 16/14) zuerkannt.

In dem Fall 11 U 80/13 befand sich der heute 70 Jahre alte Kläger in der Zeit von Ende Mai 2006 bis Ende Februar 2011 für die Dauer von 57 1/3 Monaten zu Unrecht in der Sicherungsverwahrung. In dem Fall 11 U 16/14 befand sich der heute 51 Jahre alte Kläger in der Zeit von Ende Mai 2003 bis Ende Juni 2008 für die Dauer von 61 Monaten zu Unrecht in der Sicherungsverwahrung.

Die unrechtmäßige Sicherungsverwahrung sei bei beiden Klägern, so der 11. Zivilsenat des Oberlandesgerichts Hamm, mit einem Betrag von 500 Euro pro Monat zu entschädigen. Diese Höhe entspreche der Entschädigungspraxis des EGMR in vergleichbaren Fällen. Auf die von den Klägern beanspruchte Höhe von 25 Euro pro Tag, die sich aus der Regelung § 7 Strafrechtsentschädigungsgesetz ergebe, sei nicht abzustellen. Das deutsche Strafrechtsentschädigungsgesetz beinhalte eine spezielle Regelung für zu Unrecht Inhaftierte, die auf die bereits anderweitig in Art. 5 EMRK geregelte Entschädigung von Fällen konventionswidriger Sicherungsverwahrung nicht anzuwenden sei.

Es sei auch sachlich nicht geboten, Geschädigte, die sich zu Unrecht in Strafhaft befunden hätten, mit Geschädigten, die sich zu Unrecht in Sicherungsverwahrung befanden, gleich zu behandeln. Geschädigte, die sich zu Unrecht in Strafhaft befunden hätten, seien häufig zu Unrecht inhaftiert worden. Hierdurch würden sie in der Regel nicht unerheblich stigmatisiert und nicht selten reiße sie die Inhaftierung aus einem intakten sozialen Umfeld heraus. Dem solle der im Strafrechtsentschädigungsgesetz geregelte Entschädigungsbetrag von 25 Euro pro Tag Rechnung tragen. Auf Sicherungsverwahrte, deren Sicherungsverwahrung konventionswidrig zu lang vollstreckt worden sei, träfen diese Umstände nicht zu, weil sie sich in der Regel vor der konventionswidrigen Sicherungsverwahrung seit Jahren zu Recht in der Strafhaft und/oder in der Sicherungsverwahrung befunden hätten. Ihre Stigmatisierung gerade durch den weiteren, unrechtmäßigen Vollzug der Sicherungsverwahrung sei eher gering.
In dem Fall 11 U 16/14 stehe dem Kläger deswegen für 61 Monate eine Entschädigung von 30.500 Euro zu.

In dem Fall 11 U 80/13 ergebe sich für die 57 1/3 Monate ein Entschädigungsbetrag von 28.665 Euro. Dieser sei allerdings um 12.000 Euro zu ermäßigen, weil der Kläger diesen Betrag bereits mit einem – aus Anlass seiner unrechtmäßigen Sicherungsverwahrung – gegen die Bundesrepublik Deutschland vor dem EGMR geführten Individualbeschwerdeverfahren erstritten und erhalten habe. Der von der Bundesrepublik gezahlte Betrag sei anzurechnen, weil auch er den Kläger für die konventionswidrig erlittene Sicherungsverwahrung entschädige. Die nach Art. 5 EMRK zu berechnende Entschädigung solle das erlittene Unrecht vollständig ausgleichen und stelle daher auch eine Obergrenze für staatliche Entschädigungsleistungen dar.

Möthrath riet, in allen strafrechtlich relevanten Fällen sowie als Opfer von Gewalttaten so früh wie möglich rechtlichen Rat in Anspruch zu nehmen, wobei er dabei u. a. auch auf die Anwälte und Anwältinnen in dem Deutschen Strafverteidiger Verband (DSV) e. V. -www.deutscher-strafverteidigerverband.de – verwies.

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Jürgen Möthrath
Rechtsanwalt/Fachanwalt für Strafrecht
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