(Worms) Kassenärzte, die von einem Pharma-Unternehmen Vorteile als Gegenleistung für die Verordnung von Arzneimitteln dieses Unternehmens entgegennehmen, machen sich weder wegen Bestechlichkeit nach § 332 StGB noch wegen Bestechlichkeit im geschäftlichen Verkehr nach § 299 Abs. 1 StGB strafbar.

Auch Mitarbeiter von Pharmaunternehmen, die Ärzten solche Vorteile zuwenden, machen sich in diesen Fällen konsequenterweise nicht wegen Bestechung (§ 334 StGB) oder Bestechung im geschäftlichen Verkehr (§ 299 Abs. 2 StGB) strafbar. Der niedergelassene, für die vertragsärztliche Versorgung zugelassene Arzt handelt nämlich bei der Wahrnehmung der ihm gemäß § 73 Abs. 2 SGB V übertragenen Aufgaben, insbesondere bei der Verordnung von Arzneimitteln, weder als Amtsträger im Sinne des § 11 Abs. 1 Nr. 2 StGB noch als Beauftragter der gesetzlichen Krankenkassen im Sinne des § 299 StGB.

Darauf verweist der Berliner Fachanwalt für Strafrecht Dr. Niklas Auffermann, Leiter des Fachausschusses „Arztstrafrecht” des VdSRV-Verband deutscher StrafrechtsAnwälte und Strafverteidiger e. V. mit Sitz in Worms, unter Hinweis auf die Mitteilung des Bundesgerichtshofs (BGH) vom 22.06.2012 zu seinem Beschluss vom 29. März 2012 – GSSt 2/11.

In dem der Entscheidung zugrundeliegenden Verfahren hatte das Landgericht Hamburg einen niedergelassenen Vertragsarzt wegen Bestechlichkeit und eine Pharmareferentin wegen Bestechung im geschäftlichen Verkehr jeweils zu Geldstrafen von 90 Tagessätzen verurteilt. Nach den Feststellungen des Landgerichts hatte der Arzt von einem Pharmahersteller umsatzabhängige Prämien (5 % des Herstellerabgabepreises) in Höhe von insgesamt etwa 18.000 Euro für die Verordnung von Medikamenten erhalten.

Die Entscheidung des Großen Senats für Strafsachen beruht im Wesentlichen auf folgenden Erwägungen, so Dr. Auffermann.

Die gesetzlichen Krankenkassen sind zwar Stellen öffentlicher Verwaltung im Sinne der Amtsträgerdefinition in § 11 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. c StGB. Auch erfüllt das System der gesetzlichen Krankenversicherung als Ganzes eine aus dem Sozialstaatsgrundsatz folgende, in hohem Maße der Allgemeinheit dienende Aufgabe. Die Kassenärzte sind aber nicht dazu bestellt, Aufgaben der öffentlichen Verwaltung wahrzunehmen. Der freiberuflich tätige Kassenarzt ist weder Angestellter noch Funktionsträger einer öffentlichen Behörde. Er wird auf Grund der individuellen, freien Auswahl des gesetzlich Versicherten tätig. Sein Verhältnis zu dem Versicherten, der ihn regelmäßig individuell auswählt, wird – ungeachtet der mit der Zulassung verbundenen Verpflichtung zur Teilnahme an der vertragsärztlichen Versorgung – wesentlich von persönlichem Vertrauen und einer Gestaltungsfreiheit gekennzeichnet, die der Bestimmung durch die gesetzlichen Krankenkassen weitgehend entzogen ist. Innerhalb des Behandlungsverhältnisses konkretisiert die Verordnung eines Arzneimittels zwar den gesetzlichen Leistungsanspruch des Versicherten auf Sachleistungen; sie ist aber untrennbarer Bestandteil der ärztlichen Behandlung und vollzieht sich innerhalb des personal geprägten Vertrauensverhältnisses zwischen dem Versicherten und seinem Arzt, der die Verordnung nach seiner aus § 1 BÄO folgenden Verpflichtung auszurichten hat. Die Einbindung des Vertragsarztes in das System öffentlich gelenkter Daseinsfürsorge verleiht der vertragsärztlichen Tätigkeit danach nicht den Charakter hoheitlich gesteuerter Verwaltungsausübung. Dies entspricht auch der zivilrechtlichen Betrachtungsweise.

Dem Kassenarzt fehlt es bei der Verordnung eines Arzneimittels auch an der Beauftragteneigenschaft im Sinne von § 299 Abs. 1 StGB. Gemäß § 72 Abs. 1 Satz 1 SGB V wirken die Leistungserbringer, also auch die Kassenärzte, mit den gesetzlichen Krankenkassen zur Sicherstellung der kassenärztlichen Versorgung zusammen, begegnen sich nach der darin zum Ausdruck kommenden gesetzgeberischen Wertung also auf einer Ebene der Gleichordnung. Von wenigen Ausnahmen abgesehen sind unmittelbare Rechtsbeziehungen zwischen den Kassenärzten und den Krankenkassen gesetzlich ausgeschlossen. Dem Begriff des Beauftragten ist aber schon vom Wortsinn her die Übernahme einer Aufgabe im Interesse des Auftraggebers immanent, der sich den Beauftragten frei auswählt und ihn bei der Ausübung seiner Tätigkeit anleitet. Es kommt hinzu, dass die Krankenkasse den vom Versicherten frei gewählten Arzt akzeptieren muss. Dieser wird vom Versicherten als “sein” Arzt wahrgenommen, den er beauftragt hat und dem er sein Vertrauen schenkt. Eine sachgerechte Bewertung der ärztlichen Verordnung vor dem Hintergrund des sozialrechtlichen Regelungsgefüges führt ebenfalls zu dem Ergebnis, dass der Kassenarzt kein Beauftragter der Krankenkassen ist. Dass die Verordnung von Medikamenten (und Hilfsmitteln) dabei auch Relevanz für die Krankenkasse hat, rechtfertigt keine andere Beurteilung.

Die Entscheidung des Großen Senats für Strafsachen hat lange auf sich warten lassen und ist überraschend. Die Richter weisen ausdrücklich darauf hin, dass der Senat nur zu entscheiden hatte, ob korruptives Verhalten von Kassenärzten und Mitarbeitern von Pharmaunternehmen nach dem geltenden Strafrecht strafbar ist. Darüber zu befinden, ob die Korruption im Gesundheitswesen strafwürdig ist und durch Schaffung entsprechender Straftatbestände eine effektive strafrechtliche Ahndung ermöglicht werden soll, sei Aufgabe des Gesetzgebers. Dieser Hinweis ist als klarer Auftrag an den Gesetzgeber zu verstehen, der vor dem Hintergrund, dass der Antrag der SPD-Fraktion „Korruption im Gesundheitswesen vermeiden” (BT-Drucks. 17/3685) am 25.04.2012 im Gesundheitsausschuss mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen abgelehnt wurde, umso aktueller ist.

Dr. Auffermann rät, dies zu beachten und unabhängig von diesem Fall in allen strafrechtlich relevanten Fällen so früh wie möglich kompetenten Rechtsrat einzuholen. Rechtsanwälte und -anwältinnen mit dem Tätigkeitsschwerpunkt Strafrecht finden Sie u. a. im VdSRV-Verband deutscher StrafrechtsAnwälte und Strafverteidiger e. V. (www.strafrechtsverband.de).

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